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Auf 50 Kilo abgemagert

Franz Horstkötter geriet am Kriegsende in amerikanische Gefangenschaft

RINKERODE   Wer kennt ihn nicht, das Rinkeroder Urgestein Franz Horstkötter. Der 1927 geborene, 88-Jährige hat in der Gemeinde zahlreiche Ehrenämter bekleidet: Seit 1960 war er politisch tätig, 14 Jahre war er Ortsvorsteher, viele Jahre Mitglied des Kirchenvorstandes und Mitglied im Aufsichtsrat der Volksbank und natürlich Mitglied der Feuerwehr von Rinkerode. „Das Sprichwort: ,Willst du froh und glücklich leben, lass kein Ehrenamt dir geben’ galt für mich nie, ganz im Gegenteil“, blickt Franz Horstkötter auf ein zufriedenes Leben zurück – trotz der vielen Ehrenämter.

Die Aufnahme zeigt Franz Horstkötter.
        Franz Horstkötter  hat als junger Soldat viele
        schreckliche Dinge erlebt.
        Schlimm war die Zeit im Gefangenenlager.

Aber es gibt auch einen Lebensabschnitt des Franz Horstkötter, den kaum einer kennt, nämlich die Zeit im und nach dem Zweiten Weltkrieg. 1943, also mit 16 Jahren, wurde Franz Horstkötter zum Notdienst verpflichtet. „Hier war ich in erster Linie in der Feuerwehr tätig. Ich kann mich noch gut an den großen Einsatz am 10. Oktober 1943 in Münster erinnern, als die Stadt durch den Angriff der Engländer in Schutt und Asche lag und wir zahlreiche Brände gelöscht und dabei auch viele Menschen gerettet haben“, ist er heute noch erschüttert über das Ausmaß der Zerstörung der Stadt Münster und gleichzeitig froh über die geleistete Hilfe.

Im Sommer 1944 ging es für ihn dann ab zum Arbeitsdienst nach Neheim-Hüsten. „Das war aber eigentlich kein Arbeitsdienst, sondern ich wurde mit weiteren 200 Kameraden jeden Tag an Waffen ausgebildet“, sagt Horstkötter. „Dafür bekamen wir in den ersten Wochen 25 Pfennig und später eine Reichsmark pro Tag“, schmunzelt er.

Schon nach kurzer Zeit ging es weiter von Neheim-Hüsten nach Niedersfeld im Sauerland. Dort kam es dann auch zur ersten Feindberührung mit den Amerikanern. „Wir wurden von den Amis eingekesselt und haben uns in einer Jagdhütte verschanzt“, erzählt er. Nach einem kurzen Gefecht konnte man sich jedoch aus der Umklammerung befreien und sich in einem angrenzenden Wald verstecken. „Dort hat uns dann die Gestapo ausfindig gemacht. Die waren dann so bekloppt und haben eine neue Truppe zusammengestellt und uns auch wieder bewaffnet. Wir sollten dann noch am gleichen Abend wieder in den aussichtslosen Kampf gegen die Amerikaner ziehen“, ist Franz Horstkötter heute noch entrüstet. Aber dazu kam es nicht. Denn die Amerikaner umzingelten sie noch einmal. Diesmal gab es jedoch kein Entrinnen, „obwohl ein total vernarrter Kamerad noch auf die Amerikaner schießen wollte. Aber dem haben wir das Gewehr abgenommen und ihm gesagt, das hier nicht mehr geschossen wird.“

Diese Aufnahme zeigt Franz Horstkötter.
Viele Ehrenämter  hat Franz Horstkötter
in Rinkerode inne gehabt.

Anschließend hieß es für die Truppe nur noch „Hands up“. Darüber waren (fast) alle froh. Endlich frei, dachte man. Aber da hatte man sich getäuscht, denn die Zeit danach sollte für alle deutschen Soldaten noch ziemlich hart werden.

Nach der Gefangennahme und Entwaffnung ging es zu einem Sammelplatz, wo alle deutschen Soldaten noch mal gründlich nach Waffen durchsucht wurden. „Sogar die Messer und Gabeln des Kochgeschirrs haben sie uns weggenommen oder von den Gabeln die Zähne abgebrochen“, berichtet Franz Horstkötter. Dann ging es weiter nach Arnsberg, wo alle Gefangenen in einem Sägewerk untergebracht wurden. Von Arnsberg zog die Gruppe dann weiter nach Frankenau, wo alle drei Tage bei einer „miserablen Verpflegung“ auf einer Wiese lagen. Nach einem weiteren Zwischenlager in Weißenturm-Wickerat ging es zum großen Gefangenenlager nach Andernach.

Dort wurde zunächst einmal eine Trennung der Gefangenen vorgenommen, denn die deutschen Soldaten mit Blutgruppentätowierungen, also die bei der Waffen-SS gewesen waren, wurden aussortiert und in ein Extralager verlegt. Auch die Offiziere, die am Russlandfeldzug teilgenommen hatten, wurden von den Amerikanern aussortiert und in ein gesondertes Lager verlegt.

Der Großteil der Gefangenen, so auch Franz Horstkötter, blieb jedoch in Andernach. Und die nächsten fast drei Monate seien „die Hölle“ gewesen. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, was wir da mitgemacht haben“, so Franz Horstkötter.


Franz Horstkötter: "Aber dem haben wir das Gewehr abgenommen und ihm gesagt, das hier nicht mehr geschossen wird."


Dort lagen 160 000 deutsche Soldaten auf den Rheinwiesen ohne Mäntel und Decken unter Aufsicht der 15. US-Armee, umstellt von amerikanischen Panzern und Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag. Bei dieser gigantischen Anzahl von Menschen auf engstem Raum sei es schon fast verständlich gewesen, dass die Gefangenen nicht nach dem internationalen Kriegsrecht behandelt worden seien. Die deutschen Landser hockten auf dem nackten Boden, nach starken Regenfällen sogar im tiefen Morast. „Zum Schlafen haben wir uns mit Konservendosen Löcher gegraben, die an einer Seite etwas tiefer waren, damit dort das Wasser zusammenlaufen konnte. Viele Gefangenen haben sich mit mehreren zusammengetan und größere Gruben gebaut, die aber nach längeren Regenschauern des Öfteren einstürzten. Es kam dann immer wieder vor, dass Gefangene bei lebendigem Leibe begraben wurden“, sagt Franz Horstkötter mit zittriger Stimme. Das wurde aber den Amerikanern gegenüber oft verschwiegen, da die Essensausgabe pro Soldaten erfolgte. „Bis die Amerikaner nachzählten, dann wurden die Rationen reduziert“, so Horstkötter.

Die Aufnahme zeigt Otti Horstkötter.
        Seit nunmehr 60 Jahren  ist Franz
        Horstkötter mit seiner "Otti" verheiratet.

Die Verpflegung durch die Amerikaner sei eine Katastrophe gewesen. „Man hatte das Gefühl, die wollten uns verhungern lassen“, berichtet Horstkötter. Zur Essensausgabe wurden die Gefangenen in Zehner- oder sogar in 100-er-Gruppen aufgeteilt. Ein Mal am Tag gab es eine Verpflegung die beispielsweise für fünf Personen aus einer Scheibe Weißbrot mit Corned Beef bestand. Dazu gab es Konservennahrung, gerade genug, dass man nicht verhungerte. Wurde jemand krank, brachte man ihn ins Lazarett, wo aber die Verpflegung auch nicht besser war. „Zudem kam es vor, dass die Sanitäter und das Aufsichtspersonal den Kranken die Verpflegung aufaßen“, berichtet Horstkötter. Auch die Wasserversorgung sei dermaßen schlecht und unzureichend gewesen, dass man sich drei Monate kaum habe waschen können. Die Amerikaner versuchten mit großen Feuerwehrpumpen, die man am Rhein aufstellte, die Wasserknappheit in den Griff zu bekommen. „Wir sind öfter mit unseren Mützen zum Rhein gelaufen und haben diese mit Wasser aus dem Rhein gefüllt, damit wir nicht verdursteten“, sagt Franz Horstkötter. Nach drei Monaten Gefangenlager war Horstkötter bis auf 50 Kilo abgemagert.

Das Lager durfte man nur zum Arbeiten verlassen. In der Nähe wurde ein neues Gefangenlager errichtet, und die Gefangenen mussten dort helfen. „Wir haben uns schon nachts um 2 Uhr an das Tor gestellt, um zum Arbeiten mitfahren zu dürfen, obwohl man erst um 6 Uhr verladen wurde. Denn nur wer zum Arbeiten mitfuhr, erhielt etwas mehr an Verpflegung“, sagt er.

An eine Episode kann er sich noch gut erinnern: „Auf dem Acker, auf dem das neue Lager errichtet wurde, hatte der Bauer gerade Kartoffeln angepflanzt. Die haben wir dann aus der Erde gebuddelt und in unseren unten zugebundenen Hosen versteckt. So haben wir unsere Verpflegung etwas aufgestockt“, schmunzelt Franz Horstkötter.


Franz Horstkötter: "Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, was wir da mitgemacht haben."


Da den Amerikanern es auf Dauer nicht möglich war, das riesige Gefangenenlager aufrecht zu erhalten, wurden die meisten Gefangenen schon im Juni 1945 entlassen. „Wir wurden zunächst mit dem Lkw nach Remagen gebracht und nach einer Woche dann weiter nach Dortmund“, so Horstkötter. Von Dortmund aus machte sich Horstkötter dann zu Fuß mit einem Kameraden auf den Heimweg. In Lünen hatten die beiden dann Glück, denn sie konnten mit einem Waggon der Bahn bis Davensberg mitfahren. Von dort ging es dann zu Fuß nach Rinkerode. „Ich kann mich noch erinnern, dass ich drei Tage vor der Silberhochzeit meiner Eltern wieder zurück war“, sagt Franz Horstkötter. Zu Hause erfuhr er, dass sein Bruder Bernhard im Krieg gefallen war. „Das hat die Freude über meine Heimkehr im Kreis der Familie doch ziemlich getrübt, wir waren alle sehr traurig“, so Franz Horstkötter.

Nach dem Krieg setzte Horstkötter dann seine vor dem Krieg begonnene Ausbildung zum Maurer fort und übernahm dann auch das Baugeschäft seines Vaters Bernhard Horstkötter. „Die Folgen des Krieges waren in Rinkerode Gott sei Dank nicht so groß, aber dafür in Münster um so mehr. Da haben wir mit unserer Firma viel gearbeitet. Schließlich war ja fast die ganze Stadt im Krieg zerstört worden“, sagt Franz Horstkötter.

Am 26. April 1955 heiratete Franz Horstkötter dann seine „Otti“. „Wir sind zusammen zur Schule gegangen, sogar in eine Klasse. Ich habe ihr schon in der Schule gesagt, dass ich sie heirate. Sie solle auf mich warten“, schmunzelt er heute noch – 60 Jahre später – nachdem beide gerade in diesem Jahr ihre Diamantene Hochzeit gefeiert haben.










Quelle: Westfälische Nachrichten vom 29.10.2015, Autor: Karlheinz Mangels

Franz Horstkötter berichtet aus seinen Jugendjahren zum Kriegsende 1945