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Deutscher bleiben oder Pole werden?
Die Familie von Franz Höflich stand 1945 in Oberschlesien vor einer unglaublich schwierigen Entscheidung.
RINKERODE   Der heute 77jährige Rinkeroder Franz Höflich hat schon in seiner Kindheit so einiges erlebt. Geboren in Amaliengrund, Kreis Leobschütz in Oberschlesien, gelegen am Rande des Riesengebirges, wuchs er bis zu seinem sechsten Lebensjahr in diesem idyllischen Dörfchen mit 20 Häusern und etwa 60 Einwohnern im Kreise seiner Familie auf. Man bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof mit 70 Morgen, hatte 7 Kühe, einige Schweine und jede Menge Gänse. Zur Schule musste er Tag für Tag eine Strecke von zusammen 10 km für den Hin- und Rückweg zu Fuß zurücklegen, aber das war kein Problem. „Leider bin ich dort nur ein halbes Jahr zu Schule gegangen“ so Franz Höflich heute.
-         Franz Höflich  hat das Kriegsende als Kind-
-         in Oberschlesien erlebt.
Denn man schrieb das Jahr 1944 und die deutsche Armee wurde von russischen Divisionen nach Westen zurückgedrängt. „Wir hörten im Radio vom Vormarsch der russischen Armee. Für meine Oma und meine Mutter war klar, dass wir von den Russen nichts Gutes zu erwarten hatten“, erinnert sich der damals Sechsjährige an diese Zeit.
Als die Front dann immer näher kam, wurde noch schnell ein Schwein geschlachtet und das Notwendigste an Kleidung und zudem noch Korn und Mehl auf einen Pferdewagen geladen. „Außerdem haben wir eine Kuh hinter den Wagen gebunden und mitgenommen“, so Franz Höflich.
- Dieser Schnappschuss  zeigt Franz und Anni
- Höflich gemeinsam mit dem Rinkeroder
- Zentrumspolitiker Johannes Brockmann.
Da sein Vater schon zu Anfang des Krieges zur deutschen Armee eingezogen wurde, machte sich der Rest der Familie, seine Oma, seine Mutter und seine vierjährige Schwester Anni auf den Weg nach Westen. Leobschütz ließ man „links liegen, da der ganze Ort lichterloh brannte“.
Das Ziel war zunächst Tschechien. „Da unsere Kuh nicht daran gewöhnt war so eine weite Strecke über Straßen zu laufen, war sie bald wundgelaufen und wir mussten ihr die Füße mit Säcken und Lappen verbinden“, erzählt Franz Höflich. Aber das ging auch nicht lange gut, so dass man die Kuh gegen eine andere tauschen musste.
„Da wir nur langsam vorwärts kamen, hat uns die russische Armee schon In Tschechien überholt. Das war nicht ganz ungefährlich. Meine Oma und meine Mutter haben sich versteckt und uns Kinder haben die Russen in Ruhe gelassen, aber unser Pferd haben sie uns weggenommen“, sagt Franz Höflich.
Da die Höflichs ja vor den Russen geflohen waren und diese jetzt vor ihnen auf dem Weg nach Westen waren, entschlossen sie sich jetzt zurück nach Amaliengrund zu gehen. Nachdem man sich ein neues Pferd besorgt hatte, ging es also wieder zurück nach Oberschlesien. „Der Rückweg war jedoch schrecklich. Überall lagen tote Soldaten, deutsche und russische. Ich kann mich noch an ein Schlachtfeld mit hunderten von Leichen erinnern. Eine erschütternde Szene ist mir auch heute noch im Gedächtnis geblieben: Zwischen all den toten Soldaten stand ein deutscher Soldat und sang lautstark ein Lied, wahrscheinlich war der vollkommen traumatisiert“, ist Höflich heute noch ergriffen. Zudem standen überall ausgebrannte Panzer am Wegesrand.
Franz Höflich: "Für meine Oma und meine Mutter war klar, dass wir von den Russen nichts Gutes zu erwarten hatten."
„Während des Krieges konnte man immer wieder britische Flugzeuge beobachten, die über unseren Hof flogen und wahrscheinlich auf dem Weg nach Münster waren und von der deutschen Abwehr beschossen und sogar getroffen wurden“, erzählt Karl Koch. Die deutsche Abwehr befand sich ganz in der Nähe des Hofes Koch in der sogenannten Flakstellung. „Am Abend suchte die deutsche Abwehr mit riesigen Scheinwerfern den Himmel nach feindlichen Flugzeugen ab, das konnten wir von uns aus gut beobachten“, erinnert sich Karl Koch.
Zu Hause angekommen musste man feststellen, dass das Wohnhaus und auch die Scheune noch vorhanden waren, aber sämtliche Tiere verschwunden waren. „Wir haben dann einige Wochen mehr schlecht als recht in unserem Haus gewohnt, aber es fehlte natürlich an Allem. Vor allem gab es kaum etwas zu Essen“, schildert Franz Höflich die damalige Situation.
-         Gemeinsam mit seiner Schwester 
-         Anni kam Franz Höflich 1945
-         nach Rinkerode.
Gegen Ende des Krieges erschienen dann die Polen und erklärten ultimativ, dass alle Bewohner von Amaliengrund sich nun entscheiden müssten, ob sie Polen werden oder weiterhin Deutsche bleiben wollten. „Da war für meine Oma und meine Mutter keine Frage: Sie waren Deutsche und wollten es auch bleiben“, erinnert sich Franz Höflich. Die Folge war: Man musste den Hof verlassen, die Polen nahmen ihnen bis auf ein Kleidungsstück alles ab. Auch das wenige Geld wurde ihnen abgenommen. Sieben Familien aus ihrem Ort hatten sich für Deutschland entschieden. Sie wurden aus ihren Häusern verwiesen und im Saal einer Kneipe zusammengepfercht. „Dort haben dann etwa 20 Personen auf engstem Raum zusammen gelebt. Im Mai 1945 wurden dann alle zum Bahnhof geführt“, so Franz Höflich. Hier wurden die Familien in einen Viehwaggon verfrachtet. „Vorher wurden alle noch mit einer großen Spritze entlaust“, lächelt Höflich.
Nach einer strapaziösen, tagelangen Fahrt erreichte man das Auffanglager in Telgte. Hier waren „auf den Wersewiesen“ Baracken für die Flüchtlinge errichtet. Schon nach einer Woche ging es dann für alle weiter, denn die Flüchtlinge wurden auf die benachbarten Dörfer verteilt. „So kamen wir zusammen mit der Familie Jeschke nach Rinkerode. Hier war das Jugendheim die Verteilerstelle“, sagt Franz Höflich. „Ich kann mich erinnern, dass man uns in Rinkerode trennen und auf mehrere Familien verteilen wollte. Aber dagegen hat meine Mutter energisch und auch erfolgreich protestiert. So kamen meine Mutter, meine Schwester und ich zur Familie Deventer in der Bauernschaft Altendorf“, erinnert sich Franz Höflich. Lediglich die Oma wurde in der Rinkeroder Familie Schwertheim untergebracht.
Auf dem Hof Deventer bekamen sie ein Zimmer zugewiesen. Das Problem war dann die Kleidung. „Ich kann mich erinnern, dass ich nur eine Hose hatte und meine Schwester auch nur ein Kleid. Hans und Ingrid Sauerborn haben uns dann eine Hose und ein Kleid geschenkt, das war einfach toll. So konnten wir wenigsten mal wechseln“, schmunzelt Höflich.
Franz und Anni Höflich wurden sofort nach der Ankunft in Rinkeroder in die hiesige Volksschule eingeschult.
Franz Höflich: "Der Rückweg war jedoch schrecklich. Überall lagen tote Soldaten - deutsche und russische."
Bis 1950 wohnten die Höflichs dann bei Deventer. „Wir sind der Familie Deventer jetzt noch sehr dankbar für diese gute Zeit“, so Franz Höflich heute. Inzwischen war auch der Vater, der sich bis 1947 in Luxemburg in Kriegsgefangenschaft befunden hatte, zurück. „Wir haben ihn über das Rote Kreuz gefunden, denn er wusste nicht wo wir waren und wir wussten nicht, ob er noch lebte oder sich in Kriegsgefangenschaft befand“, sagt Franz Höflich.
Im Jahr 1950 zog die Familie Höflich dann in eine Dachgeschosswohnung der Volksschule um und 1953 wurde dann ein schmuckes Wohnhaus am Meerkamp in Rinkerode errichtet. Hier lebt Franz Höflich mit seiner Ehefrau Hildegard und seinem Sohn André und dessen Familie und fühlt sich lange als „echter Rinkeroder“, aber eben gebürtig aus Oberschlesien, aus Amaliengrund im Kreis Leobschütz am Rande des Riesengebirges.
Quelle: Westfälische Nachrichten vom 19.09.2015, Autor: Karlheinz Mangels