- Logo der Serie
Mit dem Fahrrad an die Front
Josef Albrecht erzählt vom Kriegsende
RINKERODE   „Mit gerade 17 Jahren wurde ich Ende 1944 noch zum Reichsarbeitsdienst (RAD) eingezogen“, erinnert sich der heute 88-jährige Rinkeroder Josef Albrecht auch nach über 70 Jahren an diese Zeit.
-         Josef Albrecht  hat das Kriegsende
-         als junger Mann erlebt.
Im RAD-Lager in Warendorf-Einen war aber nicht der Spaten das Rüstzeug der meistens minderjährigen jungen Männer, sondern der Karabiner. „Wir wurden nur an Waffen ausgebildet, ganz klar mit dem Ziel, als Soldaten am Krieg teilzunehmen“, war sich Josef Albrecht sofort sicher. Diese Ausbildung dauerte dann auch nicht lange, denn schon nach wenigen Wochen erhielten sie Fahrräder und wurden wegen der näher rückenden Ostfront in Richtung Elbe in Marsch gesetzt. „Wir sollten mit unserer Fahrradtruppe helfen, die russische Armee aufzuhalten. Das muss man sich mal vorstellen“, erzählt Josef Albrecht. „Wir gehörten zum letzten Aufgebot, um den ,Endsieg’ noch zu erringen, wurde uns vorgegaukelt.“
Doch der Fahrradfeldzug stockte für Albrecht schon auf halbem Weg. „Ein Plattfuß hat mich und meinen Kameraden Heinz Baumeister aufgehalten. Dadurch haben wir den Anschluss zu den anderen verloren“, berichtet er. Und dann stellte sich ihnen auch noch die deutsche Militärpolizei in den Weg. Da die beiden keinen schriftlichen Marschbefehl vorzeigen konnten, wurden sie kurzerhand der dort lagernden Wehrmachtseinheit „Feldherrnhalle“ zugeteilt. Als Panzergrenadiere gehörten sie fortan zur Division „Dithardt“ und wurden in Richtung Berlin in Marsch gesetzt. „Dort sollten wir die Reichshauptstadt gegen die anstürmenden Russen verteidigen“, erinnert sich Albrecht. Doch der Einsatz dauerte nur drei Wochen. Dann wurde die Division zurückgezogen. „Wahrscheinlich hat man eingesehen, dass dieses Unterfangen hoffnungslos war.“
Doch es gab sofort einen neuen Befehl. „Nun sollten wir an der Elbe die dort vorrückenden amerikanischen Truppen aufhalten“, so Albrecht. Das verlief dann aber auch nicht wie geplant, denn man hatte keinen Sprit mehr für die Fahrzeuge. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass rundherum in den Wäldern unzählige Jagdflugzeuge standen, die alle wegen fehlender Besatzungen oder auch wegen nicht mehr vorhandenem Treibstoff nicht mehr starten konnten. Und so erging es auch uns mit unseren Fahrzeugen“ erzählt Josef Albrecht.
- Heute ist Josef Albrecht  88 Jahre alt. Das Kriegs-
- ende ist ihm noch sehr präsent.     Foto: -man-
Also blieb der Truppe nichts anderes übrig als zu Fuß den Marsch in Richtung Elbe fortzusetzen. „An ein Aufhalten der Amerikaner war natürlich gar nicht mehr zu denken, ob wir wollten oder nicht“, so Albrecht.
Ganz im Gegenteil, sie wurden von den Russen mit ihren Panzern überholt. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir uns zu zweit in Petow-Steegen von der Truppe getrennt und in einer Feldscheune im Stroh unser Nachquartier eingerichtet hatten. Im Schlaf wurden wir von vorbeifahrenden Panzern geweckt. Diese trugen aber nicht das Kreuz für die deutschen Panzer, sondern einen Stern. Es waren also russische Panzer. Die Russen hatten uns überrollt“, berichtetet Albrecht. Die beiden haben dann schnell ihre Waffen („MP 42“) vergraben und auf Anraten einer Bäuerin die Uniformen gegen Zivilkleidung getauscht. „Wir haben uns dann zu zweit in Richtung Elbe auf den Weg gemacht. Dabei mussten wir immer wieder vor feindlichen Truppen in Gräben oder hinter Büschen in Deckung gehen. Deshalb haben wir uns über Tag versteckt und sind nur nachts weitergegangen“, erinnert sich Albrecht.
Der Rinkeroder und sein Kamerad hatten nur ein Ziel. Sie wollten unbedingt über die Elbe und dann weiter nach Westen in Richtung Heimat. Dies war jedoch nicht möglich, da alle Brücken gesprengt und die errichteten Behelfsübergänge von Flüchtlingen total überfüllt waren und zudem von den Amerikanern scharf kontrolliert wurden. „Die Amerikaner hielten vor allem nach Angehörigen der Waffen-SS und Sondereinheiten der Wehrmacht Ausschau“, sagt Albrecht.
Eine schreckliche Szene hat Albrecht noch ganz genau vor Augen: In einem Dorf überquerten sie eine Weide. Dort lagen total aufgedunsene tote Kühe und hinter einer Hecke fanden sie die Leiche einer Frau. „Wir haben dann einen älteren Mann gebeten, die Frau würdevoll zu beerdigen“, so Albrecht.
In einem Auffanglager für Soldaten trafen sie dann ehemalige Kollegen ihrer RAD-Einheit. Dort erhielten sie Hosen und Jacken. Damit waren sie als Soldaten nicht mehr von Zivilisten zu unterscheiden.
Josef Albrecht: "Wir sollten mit unserer Fahrradtruppe helfen, die russische Armee aufzuhalten."
Trotzdem gerieten sie anschließend in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Viele Tausend Soldaten campierten in einem großen Gefangenenlager bei Boizenburg auf einem Acker. „Ich kann mich noch erinnern, dass damals der Hunger so groß war, dass wir die von den Bauern zuvor noch gepflanzten Kartoffeln mit Messern oder mit den Händen wieder ausgegraben und gegessen haben“, sagt Albrecht.
Die amerikanischen Bewacher gingen ziemlich rigoros gegen Verstöße der deutschen Gefangenen vor. So sei ein deutscher Soldat, der das Lager verlassen hatte, um sich in einem unbewohnten Bauernhaus mit seiner Freundin zu treffen, sofort verfolgt und erschossen worden, als er versuchte zu flüchten. Das Bauernhaus sei dann sogar auch noch in Brand gesetzt worden.
Nach zwei Wochen im Lager ging es dann in Kolonnen zu 100 Mann nach Schwerin und von dort mit der Eisenbahn nach Eutin. Aber auch hier war noch nicht Endstation. In tagelangen Fußmärschen ging es weiter in ein offenes Lager in Lütgenbrode bei Heiligenhafen an der Ostsee. Auch sei die Verpflegung eine Katastrophe gewesen. „Von den Feldern ernteten wir die wilde Melde und aus der Ostsee die Muscheln. So hatten wir Gemüse und Fleisch, wurden aber nie richtig satt“, erinnert sich Albrecht.
Im Lager an der Ostsee standen sie dann nicht mehr unter amerikanischer sondern unter deutscher Aufsicht. „Wir wurden von deutschen Soldaten in Uniform bewacht. Das war eine Regelung, die es nur in Schleswig-Holstein gab“, sagt Albrecht.
Am 20. Juni 1945 hieß es dann, dass sich alle Landwirte melden sollten. „Da habe ich mich auch gemeldet, obwohl ich ja kein Landwirt war“, lächelt Albrecht. Aber man glaubte ihm, zumal er alle Fragen zur Landwirtschaft beantworten konnte. So wurde er mit den anderen Landwirten nach einer Bestäubung mit Entlausungsmitteln auf englische Lkw verladen, erhielt den so begehrten Entlassungsschein und wurde in Richtung Heimat gefahren. Über Nienberge und Telgte gelangte er schließlich nach Münster. Dort traf er einen Bekannten aus Rinkerode, Hubert Lechtermann, mit dem er dann zunächst zu Fuß und dann mit dem Pferdefuhrwerk eines Bauern aus Herbern am 4. Juli 1945 Rinkerode erreichte. Groß war die Freude in der Familie Albrecht über seine Rückkehr.
Da er bereits 1944 seine Lehre bei der Deutschen Reichsbahn abgeschlossen hatte, konnte er schon kurz nach seiner Rückkehr aus dem Krieg seinen Dienst als Reichsbahnhelfer wieder aufnehmen. 1948 lernte er dann auch seine Gerda kennen, die als Verkäuferin im Lebensmittelgeschäft Silkenbäumer beschäftigt war. 1950 wurde geheiratet. Gemeinsam haben sie dann viele Jahrzehnte den Laden – „zunächst als Leihbücherei, später als Tante-Emma-Laden“ –, zunächst in der „Baracke“ an der Großen Heide und später an der Münsterstraße (heute „Alte Dorfstraße“) betrieben.
Quelle: Westfälische Nachrichten vom 18.12.2015, Autor: Karlheinz Mangels