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Im Kartoffelkeller überlebt
Zwei Zeitzeugen erinnern sich an den verheerenden Bombenangriff vor 70 Jahren
RINKERODE   Es sind auf den heutigen Tag genau 70 Jahre vergangen, dass ein zerstörerischer Bombenteppich über der sogenannten „Drift" abgeworfen wurde. Amerikanische Tiefflieger bombardierten damals die südöstlich von Rinkerode gelegene Bauerschaft Eickenbeck in der Nähe der Bahnstrecke und hinterließen neben zerstörten Häusern bestürzte Menschen, die den Angriff nur mit viel Glück überlebt hatten. Bis heute haftet das Geschehene tief in ihrem Gedächtnis.
-         Sie haben den Bombenangriff vom 17. März 1945 hautnah
-         miterlebt: Elisabeth Schlieper und Heinz Husmann erinnern
-         sich an diesen schlimmen Tag. Als Erinnerung hat Heinz
-         Husmann ein Unterrichtsbuch aufbewahrt, das in seinem
-         Tornister von Granatsplittern durchbohrt worden war.
Am 17. März 1945 gegen 12 Uhr mittags, nur zwei Wochen vor Einmarsch der Amerikaner, heulte auf dem alten Rinkeroder Feuerwehrturm die Sirene „Vollalarm". Der damals achtjährige Heinz Husmann beeilte sich mit Mutter Anna, dem jüngeren Bruder Alfred und einer Haushaltshilfe, den Kartoffelkeller im Stall, der dem Wohnhaus angeschlossen war, zu erreichen. Der kleine Kellerraum sollte durch eine doppelte Mauer und eine sogenannte „Preußische Kappendecke" ein Mindestmaß an Schutz bieten. „Wir legten uns flach auf den Kellerboden und fingen an zu beten", erinnert sich der heute 78-Jährige lebhaft an den bedrohlichen Tieffliegerangriff. „Die Motorengeräusche des nahenden Luftverbandes wurden immer lauter. Und dann erzitterte durch die einschlagenden Bomben der Boden", schildert der Rinkeroder den angstbesetzten Moment.
„Nach zwei bis drei Minuten war alles vorbei. Es trat Ruhe ein. Wir schauten uns an. Keiner sagte was. Wir stellten einfach nur fest, dass wir noch lebten", beschreibt Heinz Husmann. „Unsere Mutter nahm uns an die Hand, und wir gingen nach draußen, wo sich uns schreckliche Bilder boten. Und ein furchtbarer Pulvergeruch hing über allem. In nur fünf Minuten hatte sich die Welt um uns total verändert", erzählt der Zeitzeuge, der noch das fast völlig zerstörte Wohnhaus und die Stabbrandbomben vor Augen hat, die überall in den Wiesen brannten. Auf dem Hof des Nachbarn Lütke-Harmann trafen sie auf eine Frau, die mit ihrer toten Tochter in den Armen umherlief. „Sie konnte nicht begreifen, dass ihr Kind tot war", erinnert sich Heinz Husmann an grausame Bilder. Die Nachbarn Lütke-Harmann. die ebenfalls in einem Kartoffelkeller Schutz gesucht hatten, überlebten den Bombenangriff mit großem Glück unverletzt. Eine Bombe, die nur sechs bis sieben Meter neben ihnen in den Schweinestall eingeschlagen war, entpuppte sich als Blindgänger.
- Die Brüder Heinz (Ii.) und Alfred Husmann überlebten den
- Krieg unbeschadet. Wie viele andere Kinder fanden sie
- sich in den Kriegswirren zurecht und arrangierten sich mit
- den widrigen Lebensumständen, die zum Alltag gehörten.
Der Abwurf des Bombenteppichs am 17. März 1945 hatte in der Bauerschaft Eickenbeck verheerende Schäden hinterlassen. Ziel der Tiefflieger war wohl auch an diesem Tag die Bahnstrecke zwischen Münster und Hamm gewesen, die in regelmäßigem Abstand beschossen wurde. Mit einem derartigen Angriff mit zentnerschweren Bomben, hatten die Menschen auf der sogenannten „Drift" aber nie gerechnet.
Zur Nachbarschaft der Familie Husmann gehörte auch die Familie Große-Dütting. Elisabeth Schlieper. geborene Große-Dütting, wird den Tag, an dem die amerikanischen Tiefflieger 240 Bomben abwarfen, wohl ebenfalls nicht vergessen. Die damals Siebenjährige hatte mit ihren jüngeren Geschwistern, der Mutter und weiteren Verwandten im Runkelkeller Schutz gesucht, als die Bomben abgeworfen wurden. „Wir haben in dem Moment an gar nichts gedacht. Wir hockten einfach nur starr auf dem Boden", erinnert sich Elisabeth Schlieper.
-         Bei einem Angriff amerikanischer Tiefflieger wurden über
-         der südöstlich von Rinkerode gelegenen Bauerschaft
-         Eickenbeck 240 Bomben abgeworfen. Dieses Luftbild vom
-         23. März 1945 zeigt die Bombeneinschläge, die
-         ein Bild der Verwüstung hinterließen.
Nach dem Bombenangriff glaubten wir im ersten Moment, dass wir mit Blut überströmt seien. Doch das war nur Saft, der aus zerbrochenen Flaschen über uns geflossen war." Als älteste Tochter wurde Elisabeth Schlieper schon früh viel Verantwortung übertragen. So nahm sie nach dem Angriff wie selbstverständlich ihren damals erst acht Monate alten Bruder Josef auf den Arm und lief mit den übrigen Geschwistern zum nächsten Hof, um dort unterzukommen. „Unser Wohnhaus war fast ganz weg. Aus dem Dach ragte ein Sparren, den die Tieffliegerpiloten für eine Flack gehalten und beschossen hatten", berichtet Elisabeth Schlieper.
Die Eltern waren damit beschäftigt gewesen, Vieh und Pferde zu retten. „Das war ja unser Kapital.". Eine vorübergehende Unterkunft fanden die vier Geschwister bei den Nachbarn. „Bei dem ganzen Durcheinander musste jeder sehen, wo er blieb. Hauptsache, man hatte ein Dach über dem Kopf. Wir hausten dann eine ganze Zeit bei uns im Wohnwagen, im Kükenheim und in der Futterküche, die von den Bomben nicht zerstört worden waren", erzählt Elisabeth Schlieper. die sich noch lebhaft an die provisorische Bleibe der Familie erinnert. „Zumindest musste man auf dem Land nicht hungern. Die Menschen aus den Städten hatten nichts zu essen. Sie tauschten Schuhe und andere Habseligkeiten gegen Lebensmittel. Irgendwie musste man überleben".
Heinz Husmann: "In nur fünf Minuten hatte sich die Welt um uns total verändert."
Das, was heute wohl nur schwer vorstellbar ist, gehörte für viele Kriegskinder zum Alltag. „Wir sind in den Kriegswirren aufgewachsen. Wir kannten es nicht anders", berichten Elisabeth Schlieper und Heinz Husmann. „Das war eine schlimme Zeit", sind sich die beiden Zeitzeugen einig. Beide sind dankbar, den Krieg überlebt zu haben. Und mit Blick in die Vergangenheit wünschen sie sich nichts mehr als eine friedliche Zukunft.
Quelle: Westfälische Nachrichten vom 17.03.2015, Autorin: Christiane Husmann