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Deckung im Straßengraben

Maria Schneider erzählt von Bombardierungen, Wiederaufbau, Kohlenklau und einer Notlüge

RINKERODE   Die Rinkeroderin Maria Schneider, geborene Horstkötter, feiert im August ihren 90. Geburtstag. Sie hat viel zu erzählen aus der Zeit während des Zweiten Weltkrieges und über die Zeit danach.

Die Aufnahme zeigt Maria Schneider.
        Maria Schneider   feiert bald ihren 90. Geburtstag. Die
        schrecklichen Kriegsjahre sind der Rinkeroderin noch
        präsent.
        Foto: -man-

Im Frühjahr 1943 wurde Maria Schneider mit 17 Jahren „dienstverpflichtet“ und musste in der größten Rüstungsfirma der Stadt Münster, der Flugzeugfirma Hansen & Co., arbeiten. Dort waren 2000 Arbeitskräfte, unter ihnen 1200 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, damit beschäftigt, für den „Endsieg“ Flugzeuge wie die Messerschmidt 109 zu reparieren. Frauen mussten die gleiche Arbeit verrichten wie Männer. „Ich habe mit der Bohrmaschine, dem Niethammer und an der Blechstanze gearbeitet“, erinnert sich Maria Schneider auch nach mehr als 70 Jahren genau.

Mit dem Zug ging es früh morgens von Rinkerode nach Münster. „Doch die Arbeit wurde fast täglich durch Fliegeralarm unterbrochen. Bei Vollalarm ging es dann im Spurt durch die Kleingärten ab zum Schützenhofbunker an der Hammer Straße“, weiß Maria Schneider zu berichten. „Und hier gab es ein fürchterliches Gedränge, bei dem sogar ein Mal ein Kind totgetreten wurde“, ist sie heute noch erschüttert. In den Bunker ging es jedoch nur bei Vollalarm, also wenn mit einer Bombardierung zu rechnen war. Bei einem normalen Alarm wurde weitergearbeitet. „Wir haben ja schließlich in der Rüstungsindustrie für den ,Führer’ unter großem Druck arbeiten müssen.“

Als im Oktober 1944 die Bahnstrecke von Rinkerode nach Münster nicht mehr zu befahren war, ging es täglich mit dem Fahrrad nach Münster. „Dabei musste ich dann so manches Mal vor den Tieffliegern im Straßengraben Deckung suchen. Bei einem dieser Angriffe wurde ich verletzt und krankgeschrieben. Das war mein Glück“, ist Maria Schneider heute noch froh. Denn die Flugzeugfirma wurde wegen der Bombardierungen von Münster nach Gevelsberg verlegt. Und alle Beschäftigten mussten mit.

Die Aufnahme zeigt das Geburtshaus von Maria Schneider an der Eickenbecker Straße in Rinkerode.
Das Geburtshaus  von Maria Schneider an der Eickenbecker
Straße wollten die Amerikaner 1945 in Beschlag nehmen.

„Als der Krieg dann 1945 zu Ende ging, waren auch alle Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen frei. Und die haben dann viele schreckliche Sachen gemacht, gerade mit jungen Mädchen und Frauen. Einige Arbeiterinnen sind durch Vergewaltigungen schwanger geworden“, hat Maria Schneider nach dem Krieg von ehemaligen Arbeitskolleginnen erfahren.

Nach dem Krieg hat sie dann auf Gut Heidhorn gearbeitet. Dort verbrachten 40 ältere Ordensschwestern der „Göttlichen Vorsehung“ ihren „Lebensabend“. „Ich sollte hier „Küche lernen.“ Aber viel gelernt habe ich dort nicht, denn es gab ja gar nichts zu kaufen und damit auch kaum etwas zu essen. Also habe ich gelernt wie man Kühe melkt, Schweine schlachtet und anschließend verwurstet“, sagt Maria Schneider heute.

Daneben half Sie ihrem Vater Bernhard Horstkötter, der ein Bauunternehmen in Rinkerode besaß und zudem einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb hatte, beim „Wiederaufbau“ von im Krieg zerstörten Häusern in Rinkerode. „So habe ich beim Dacheindecken auf Haus Göttendorf, bei Harmann und Husmann mitgeholfen und Dachziegel angereicht“, ist Maria Schneider heute noch stolz.

Gut erinnert sie sich auch noch an den Einmarsch der Amerikaner in Rinkerode Ostern 1945. „Wir haben eine weiße Fahne an einem hohen Baum befestigt“, erinnert sie sich. Trotzdem wollten die Amerikaner das Wohnhaus der Familie Horstkötter an der Eickenbecker Straße beschlagnahmen. Alle Familienmitglieder sollten raus. „Wir hatten aber zu diesem Zeitpunkt acht Flüchtlinge – fünf aus Aachen und drei aus Münster – aufgenommen. Das Haus war also bis unterm Dach bewohnt. Trotzdem bestanden die Amerikaner auf sofortiger Freiräumung“, denkt sie heute noch voller Sorge an diese Zeit. Da sei ihre Mutter auf eine geniale „Notlüge“ gekommen. „Sie hat den Amerikanern erzählt, dass unser Haus ja direkt neben dem Friedhof von Rinkerode liege und dass dadurch das Trinkwasser aus dem eigenen Brunnen nicht besonders gut sei“, lächelt sie. Das half. Die Amerikaner hatten auf einmal kein Interesse mehr an dem Haus und zogen weiter.

Maria Schneider: "Wir haben ja schließlich in der Rüstungsindustrie für den ,Führer' unter großem Druck arbeiten müssen."


Da die meisten Rinkeroder auch nach dem Krieg hinsichtlich der Nahrung Selbstversorger waren, musste kaum jemand Hunger leiden. Schwierigkeiten gab es jedoch, an Brennmaterial zu gelangen. Deshalb hätten die Rinkeroder an der Bahnstrecke in der Nähe von Signalen und Weichen nach Koks, der von den Zügen gefallen war, gesucht. „Hin und wieder wurden auch Waggons bestiegen und der Koks an vereinbarten Stellen abgeworfen“, erinnert sich Maria Schneider, „Und das war nicht ganz ungefährlich, denn die Alliierten und die Polizei versuchten, das zu verhindern.“

Maria Schneider hat dann viel später über diesen „Kohlenklau“ einen Vers geschrieben:

Wenn des Abends ein kleines Baby vor Kälte weint,
und das Wetter zum Kohlenklauen geeignet scheint,
ziehen Gestalten mit ihren Säcken zur Bahn hinaus,
und sie schauen trotz Sturm und Kälte nach Kohlen aus,
und sie stehen und hoffen und starren das Gleis entlang,
weil der Pfiff eines Zuges hell durch den Abend klang,
und von Mund zu Mund die bange Frage fällt:
Ob er hält? Ob er hält?
Wenn am Bahnhofssignal die Lampe zeigt rotes Licht,
wenn die Kohle uns verlockend ins Auge sticht,
steigt die Meute hinauf und jeder beginnt wie toll,
und sie machen in aller Eile die Säcke voll,
und sie stehen und flüstern: „Heute geht alles klar“,
bis der Ruf erschallt: „Polente ist da."

Und dann galt es, so schnell wie möglich die „Beine in die Hand zu nehmen“ und das Weite zu suchen.

Im Herbst 1948 hat Maria Schneider ihren späteren Ehemann Theo wieder in die Arme schließen können. Theo Schneider war mit 17 Jahren als Soldat eingezogen worden und geriet 1945 in amerikanische Gefangenschaft und wurde sogar nach Amerika „verschifft“, wo er in Colorado am Fuße der Rocky Mountains in einem Gefangenlager mit 15 000 anderen landete. Anschließend erfolgte die Aufteilung in Arbeitslager, und er musste in der Landwirtschaft auf Farmen arbeiten. Im Januar 1946 ging es dann zurück nach Europa in ein Gefangenenlager nach England. Auch hier arbeitete er bis zu seiner Entlassung auf Farmen.

„Im Jahr 1950 haben wir dann geheiratet und 2000 Goldene Hochzeit gefeiert“, erinnert sich die heute noch rüstige Maria Schneider noch gerne an die vergangenen glücklichen Jahre zurück.










Quelle: Westfälische Nachrichten vom 30.05.2015, Autor: Karlheinz Mangels

Maria Schneider berichtet aus ihren Jugendjahren zum Kriegsende 1945