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Neunfachmord nie aufgeklärt
Schreckliches Verbrechen im Juni 1945 auf dem Hof Stotter in der Bauerschaft Hemmer
-         Neun Menschen  wurden in der Nacht vom 11. auf den
-         12. Juni 1945 unter bis heute ungeklärten Umständen auf
-         dem Hof Stotter in Rinkerode ermordet. Nach diesem
-         schrecklichen Verbrechen übernahm der Neffe des Bauern
-         Heinrich Richter-Delsen, den Hof. Das Gebäude auf dem
-         kleinen Bild brannte 1975 vollkommen nieder.
RINKERODE   Unauffällig und nur vom Wetter etwas angegriffen steht der Grabstein an einer Mauer am Rand des Rinkeroder Friedhofes. Fünf Namen sind in den großen Stein eingemeißelt. Soweit noch nichts Besonderes, doch wer die Inschrift liest, gerät in Stocken: „Ermordet in der Nacht vom 11. zum 12. Juni 1945 auf dem Hofe Stotter, Hemmer 15“.
Gemeint sind damit: Bauer Josef Stotter und seine Ehefrau Antonia sowie die drei Söhne Bernhard, Hubert und Theodor im Alter von sechs, vier und einem Jahr. Dieses Verbrechen forderte vor mehr als 70 Jahren aber noch mehr Opfer: die beiden Haushaltshilfen Gertrud Frankmölle und Helene Olschewski, deren Bruder, den Landwirtschaftsgehilfen Wilhelm Olschewski, und den nur als Gast dort anwesenden Bergmann Franz Dobersek. Diese wurden nicht in Rinkerode beerdigt. Neun Menschen kamen in dieser Nacht unter bis heute nicht geklärten Umständen ums Leben.
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges sorgte der Fall für großes Aufsehen und Unsicherheit im Davertdorf. Viele ältere Rinkeroder können sich noch heute daran erinnern. Gerüchte, was genau passiert sein könnte, gab es viele, konkrete Beweise aber keine.
Am Morgen des 12. Juni wurden zunächst die Nachbarn aufmerksam, da das Vieh auf der Weide unruhig und noch nicht gemolken war und sich auf dem Hof nichts rührte. In der Nacht vernommene Schüsse ordneten viele als weiter entfernt ein. So steht es im Bericht des damaligen Bürgermeisters Johannes Brockmann an den Landrat in Telgte. Eine Kopie davon und der Bericht des örtlichen Polizisten Kowalski sind noch heute im Münsteraner Bistumsarchiv einsehbar. Brockmann war von Bauer Josef Voß verständigt worden, der mit anderen Nachbarn das Haus schließlich betreten und die Opfer gefunden hatte. Die Schränke waren durchwühlt und vieles mitgenommen oder zerstört worden.
Polizist Kowalski: "Dort bot sich mir ein grausiger Anblick. Das ganze Innere des Hauses war verwüstet."
Kowalski gab zu Protokoll: „Dort bot sich mir ein grausiger Anblick. Das ganze Innere des Hauses war verwüstet“. Acht Personen seien im Schlafzimmer der Familie vorgefunden worden, eine Neunte am Hofausgang der Spülküche. Der herbeigeholte Arzt Dr. Tillman konnte nur noch den Tod durch Erschießen feststellen. Todeszeitpunkt war wohl gegen Mitternacht. Anschließend seien die örtlichen Behörden sowie die britische Provinzial-Militärregierung informiert und der Tatort abgesperrt worden.
Doch warum mussten die Familie und die anderen Bewohner sterben? Die anschließenden Ermittlungsergebnisse brachten viele Indizien, zeigten aber auch die unzureichende polizeiliche Arbeit kurz nach Kriegsende. Unter Verdacht gerieten schnell ehemalige Zwangsarbeiter.
So gab es wohl zwei Zeuginnen. Die Nachbarn trafen morgens zwei Frauen aus Lüdenscheid an. Sie hätten als sogenannte „Hamsterer“, Stadtbewohner die auf der Suche nach Lebensmitteln aufs Land fuhren, in jener Nacht in der Stotterschen Scheune übernachtet. „Wollen wohl Lärm gehört, aber nichts gesehen haben“, berichtet Polizist Kowalski. Bei seinem Eintreffen seien sie bereits weg gewesen. Weiterer Kontakt zu den beiden, obwohl Name und Adresse bekannt waren, wurde danach nicht aufgenommen.
Polizist Kowalski schreibt in seiner Anzeige, dass am Vorabend gegen 23 Uhr eine große Gruppe Russen von Hiltrup aus am Bahnwärterhaus „Hohe Ward“ in Richtung Bauerschaft Hemmer vorbeigezogen sei. „Der Bahnwärter Tönies hat den Wachtposten an der Pumpstation auf diese Leute aufmerksam gemacht. Der hat aber geantwortet, er könne gegen so viele Menschen nichts unternehmen“, schreibt Johannes Brockmann.
Spuren im hohen Gras legten zudem nahe, dass viele Menschen aus der angegebenen Richtung den Hof Stotter erreicht und wieder verlassen haben müssen. Auch der auf Brockmanns Wunsch hin beteiligte britische Offizier sei zu diesem Schluss gekommen. Bemerkenswert sei zudem, dass am Nachmittag vor der Mordnacht eine ehemalige Zwangsarbeiterin die Familie unerwartet aufgesucht habe. „Die Familie soll Kleidungsstücke und Ähnliches versteckt haben, um sie vor Diebstahl zu schützen. Diese wurden auffälliger Weise geplündert“, stellt Brockmann fest.
- Der vom Heimatverein   erhaltene Grabstein erinnert bis
- heute an das schreckliche Verbrechen
- auf dem Hof Stotter.
Der Bürgermeister kommt schließlich zu zwei Theorien zum Tathergang: Brockmann zu Folge könnte es zum einen sein, dass den jungen Haushaltshilfen von den Einbrechern Gewalt angetan werden sollte und die Situation daraufhin eskalierte. Zum anderen, dass bei der Abwehr der Ausplünderung jemand getötet wurde und unter den Einbrechern jemand Bekanntes war. Um eine Bloßstellung zu verhindern seien dann alle getötet worden. Zu dieser Auffassung sei auch der britische Sicherheitsoffizier gekommen.
Brockmanns persönlicher Eindruck ist, dass nach dem „fast geräuschlosen ausgeführten Verbrechen, mindestens eine Person unter den Tätern mit dem Hof und allen Einzelheiten vertraut sein muss“.
Die genauen Hintergründe der schrecklichen Ereignisse in jener Nacht wurden und werden wohl auch nicht mehr zu klären sein. Der Grabstein auf dem Rinkerode Friedhof wird aber weiter an die Familie und die Tat erinnern.
Quelle: Westfälische Nachrichten vom 24.03.2016, Autor: Philipp Heimann